Bildungs- und schulpolitische Themen stehen in der medialen und öffentlichen Wahrnehmung zunehmend im Fokus. Anlässlich der Wiederholungswahlen am 12.02.2023 sind die politischen Parteien aufgerufen, ihre Positionen zu schärfen und zu kommunizieren. Angesichts der großen Herausforderungen im Bereich der Bildungs- und Schulpolitik ist ein abgestimmtes Handeln von Praxis und Politik notwendig. Mit dem BildungsTalk eröffnen wir ein Forum für diesen Austausch zwischen unseren Partnerschulen und Vertreter*innen der Bildungspolitik. Es ist unser Ziel, durch eine konstruktive Diskussion praktische Lösungsansätze für reale Herausforderungen herauszuarbeiten und bereits stattfindenden Best-Practice-Lösungen aus der Praxis eine Plattform zu bieten.
Hier haben wir eine Übersicht der Fragen, Antworten und Inhalte des Bidlungstalks festgehalten.
Vor Ort waren:
Louis Krüger (Grüne)
Katharina Günther-Wünsch (CDU)
Andy Hehmke (SPD)
Johannes Dallheimer (FDP)
Mangel an Schulen
Müssen wir Schulen neu erfinden oder ist sie so noch zu retten?
Andy Hehmke (SPD):
- Schulbauoffensive hat Fehler: Geldmangel, Standortprobleme, unterschiedliche Zielsetzungen der Parteien etc.
- Jedoch sollte man bisheriges Erreichen von Standards (energetisch, technisch etc.) nicht unberücksichtigt lassen, zu viel Sanierung von Neubauten, alte Schulen zerfallen, gehen unter, es ist nötig in alle Schulen zu investieren
Louis Krüger (Bündnis90/Die Grünen):
„Sollten wir mehr Sparen?“
- Schulbaufond (Einzahlen von Geld, was am Ende des Jahres übrig bleibt), aber keine ausreichende Ausstattung. Mittlerweile 1 Mrd. Investition für Schulbau pro Jahr (Verdopplung aus dem letzten Jahr)
- Wichtig ist jetzt die Umsetzung, Koordinierung des Geldes
- Konkurrenz zwischen Neubau und Sanierung; gesunder Ausgleich ist hier nötig
Katharina Günther-Wünsch (CDU):
(schüttelt den Kopf) „ob es ausreichend ist was gerade getan wird?“
- Wichtig gerade: zu wenig Schulplätze (20.000), 10.000 geflüchtete Ukrainer zwischen 6 und 14 -> Bankrotterklärung, Hohe Gelder durch langes Warten von Ausgaben.
- Nicht der Schulbau dauert lange, sondern Bürokratie (22 Handlungsschritte, um Schule zu bauen, ab dem 21.Schritt wird das Geld ins Auge gefasst)
- Wichtig sind die 20 Schritte davor
- Was in akuten Situationen wie jetzt nötig ist: Struktur (Vergleich Hamburg: zentrales Bauunternehmen für alle Schulen -> klare Zuständigkeit zwischen Bezirk und Land bringt Felxibilität )
Johannes Dallheimer (FDP):
- Unter dem Aspekt der finanziellen Freiheit der Schulen, wie wird wer im Staat (Unterstützung) mit ins Boot geholt ?
- Zukunftsorientiert bleiben
- Nötiger Verwaltungsmanager als zusätzliches Personal (nicht die Aufgabe der Pädagog*innen)
Sanierung und Neubau an Schulen
Von Von 173 angemeldeten Sanierungs und Neubauprojekten sind 133 gestrichen worden.
Stehen sie dahinter? Werden in 2023 solche Kürzungen wieder mitgetragen?
Louis Krüger (Bündnis90/Die Grünen):
- Problem der falschen Priorisierung (Reihenfolge der Schulbauten)
- Schulen müssen zukunftsfähig gebaut werden, die nächsten 50 Jahre standhalten -> wir sollten uns den Luxus leisten (Compartment Schulen)
- Es sollten keine Schulen einfach „hingerotzt“ werde
Aber: Arbeit mit mehr temporären Maßnahmen (es muss ein durchdachter Plan her, wie eine Schule gebaut wird)
Katharina Günther-Wünsch (CDU):
- wird nicht von uns mitgetragen: nicht transparente, kriteriengeleitete UDL (sie unterstützt diese nicht) -> hat bereits Anfrage gestellt, wissen nach wie vor nicht nach welchen Kriterien die ÜDL (überbezirkliche Dringlichkeitsliste) erstellt wird
- ausgeplante Dinge, wo die Finanzierung nicht klar festgelegt ist (wir brauchen zu lange, um Schulplätze herzustellen -> zu hoher Leistungsdruck der Kinder und Eltern beim Übergang auf die weiterführende Schule, zu hoher Schnitt, kaum Kinder erreichen diesen Schnitt und kriegen Plätze auf Gymnasien)
Lehrer-und Personalmangel
Wen kann man noch motivieren, der an Schulen arbeiten will und wie organisieren wir das?
Wie schaffen wir multiprofessionelle Teams ? Dürfen die Schulen selber entscheiden wen sie dort einstellen?
Johannes Dallheimer (FDP):
- Rahmenbedingungen müssen vom Senat komme
- Bezirksaufsicht soll sich raushalten und Schulen sollen freier entscheiden
(kann Schule auch finanziell eigenverantwortlich handeln?)
Warum fühlen die Schulen sich nicht eigenverantwortlich?
Andy Hehmke (SPD):
- Schule braucht möglichst viel Autonomie:
eigenes Budget, eigene Ziele -> Flexibilität - klare Vorgaben, klare Kriterien für Freiheiten, aber auch Kontrolle anhand definierter Daten
PUBLIKUMSFRAGE: Wieso gibt es keine Chance hilfreiches, gutes Personal unbefristet einzustellen?
(Jana Reiter, Schulleiterin Grundschule am Wilhelmsberg)
Katharina Günther-Wünsch (CDU):
- Einstellen von Professoren, Quereinsteigern (wir müssen auf unsere Standards achten)
-> darf keine Überhand nehmen - Schulleitung muss mitentscheiden
Johannes Dallheimer (FDP):
- Brauchen nicht nur die Leute die von außerhalb kommen, die uns langfristig unterstützen
PUBLIKUMSFRAGE: Wir haben derzeit 1000 fehlende Lehrer, das heißt wir haben 1000 Planstellen, ungefähr 60.000€, 8 mal 50 Schulen in Deutschland. Pkb-Mittel (normale Schule hat 30000), sind die, die mit dem Ersatz fehlender Lehrer gemacht werden (3% was auf Qualität und Inklusion gedacht ist) und 15% Krankenstellnahme an Schulen.
-> Inklusion findet nicht mehr statt
Forderung: Wer tritt persönlich für solche konkreten Probleme ein? Schulkonzept in Berlin heißt „gute Schule“ Mittel müssen vernünftig eingesetzt werden
(Herr Berlo, BÄR-Vorsitzender auf Bundesebene, Förderschulen)
Louis Krüger (Bündnis90/Die Grünen):
- Mangel verteilt sich nicht gleich bei allen Schulen (manche über 100%, manche bei 80%). Bedenken bei der Verteilung über alle Schulen hinweg. Trotzdem muss das Geld verteilt werden.
Katharina Günther-Wünsch (CDU):
- Es gibt keine Schule, die bei 100% ist!
PUBLIKUMSFRAGE: „Stark trotz Corona“- Wurden die Gelder dafür weggenommen? Wenn ja, werden sie weiterhin für Bildung eingesetzt? Die Gelder dafür sollten jedes Jahr zu Verfügung stehen
(Anja Motis, externe Kooperationspartnerin an Schulen)
Katharina Günther-Wünsch (CDU):
- ich wollte das übrige Geld mit in das Jahr 2023 investieren, jedoch ist dies zurück zum Bund gekommen.
- Von Seiten der CDU sieht ein Nachfolgeprogramm von „Stark trotz Corona“ Programm als schwierig.
Louis Krüger (Bündnis90/Die Grünen):
- Da uns die Pandemie noch Jahre begleiten wird: Einheitliches Budget für die Schule sowie Freiheiten, kein extra Programm, sondern ein Dauerzuschuss
- Schulen müssen resilient gegen jede Krise sein
Soziale Herkunft
Ist die Einführung eines Vorschuljahres nötig?
Katharina Günther-Wünsch (CDU):
- müssen weiter vorne anfangen:
Um Bildungserfolg von sozialer Herkunft zu koppeln, müssen wir in die Sozialstrukturdaten gucken: - Kitaplätze schaffen + mögliche einhergehende Kitapflicht (punktuell, nicht flächendeckend) + Kitssozialarbeit unterstützen
PUBLIKUMSFRAGE: Die Daten haben wir ja. Wie erklären wir denn den Schüler*innen aus guten Verhältnissen bzw. den Lehrern, dass es auch Schüler*innen aus nicht so guten Verhältnissen gibt, dass wir ziemlich klare Grenzen zwischen Arm und Reich haben?
Wie ist eine bessere Durchmischung möglich?
Andy Hehmke (SPD):
- bessere Durchmischung
- Kinder sollten zu Schulen in IHREM KIEZ gehen.
- Änderung der Aufnahmekriterien (niedrigeren Notendurchschnitt), damit ein Kind nicht in Westend zur Schule gehen muss, wenn es in Lichtenberg wohnt noch bessere Durchmischung (Notenunterschiede)
- Forderung: Eine Schule für alle, wo es nicht um Bewerbung und Begabung geht.
- Mehr Schulbau
Louis Krüger (Bündnis90/Die Grünen):
- Problem: Schulplatzmangel verstärkt die Schwierigkeit des Übergangs
- Lösung: Gemeinschaftsschulform kann die Bildungsgerechtigkeit am ehesten herstellen
- Forderung: Wenn Schulen gebaut werden in Berlin, dann Gemeinschafsschulen
Katharina Günther-Wünsch (CDU):
- Problem: Gemeinschaftsschulen haben größte Inklusionsrate aber
- 70% Fachpersonal & Rest Studenten und Quereinsteiger (diese können nicht mit Sonderfällen, also Behinderten, sozial-/emotionaleingeschränkten Kindern umgehen)
Forderung:
- Vermischung verschiedener Wohnverhältnissen schaffen
- Änderung der Übergangskriterien ändert die Vermischung der Schülerschaft nicht
- Geht um die Kinder mit Sprachbarrieren nicht mit Behinderungen
- Beste Pädagogen für die schwierigsten Kieze
PUBLIKUMSFRAGE: Wieso muss man es Schülern noch schwerer machen (die Sprachbarrieren haben und ndH sind) und sie spalten ab der 6.Klasse? In gute und schlechte Schüler aufteilen? Mit dem Konzept der Gemeinschaftsschule könnte man das alles aufbrechen. Wieso haben wir eine Schulbauoffensive und keine Gemeinschaftsschulbauoffensive?
(Schülervertretung)
Andy Hehmke (SPD):
- steht für den Bau von mehreren Gemeinschaftsschulen aber
- aus der beteiligten Senatsverwaltung kommt nichts zu dem Bau von Gemeinschaftsschulen. Dieser braucht ebenso eine Dreizügigkeit.
- nicht dafür, nur noch Gemeinschaftsschulen schaffen, aber den Schultyp auf jedenfall stärken, um auch Segregation zurückdrängen zu können.
Forderung:
- besonders herausfordernde Schulen (mit Problemen) müssen wir mehr handeln und diese weiterhin mit allem unterstützen, was sie benötigen.
- hat gekämpft an vielen Oberschulen gymnasiale Oberstufen einzurichten auch mit benachbarten ISSen oder Gemeinschaftsschulen -> steigende Anmeldezahlen
„Wie entwickeln sich eigentlich unsere Oberstufenzentren, welche Bildungsangebote machen die? Sind die eigentlich in der dualen Ausbildung noch zeitgemäß und machen das, was heute von Unternehmen nachgefragt wird? Oder ob wir diese beiden Bildungseinrichtungen allgemeinbildende und großbildende nicht zusammenlegen?
Wir haben Standorte da liegen sie nebeneinander, da könnte man einen Bildungscampus draus machen. Sie haben an manchen Standorten freie Ressourcen.“
Problem: Riesen Leerstelle beim Übergang von allgemeiner Bildung zu beruflicher Bildung.
Man kommt zwischen den Abteilungen nicht ins Gespräch, nicht mal nach 6 Jahren.
PUBLIKUMSFRAGE:
1. es gibt Studien, die das genaue Gegenteil beweisen (nämlich, dass es nicht nur Gymnasien sind, die diese große Spaltung schaffen, sondern auch andere Schulen)
2. Gymnasien in Berlin sparen 4500 Leerstellen, weil 32 Schüler zusammen in einer Klasse lernen
3. Gymnasien sind genauso heterogen wie die Schülerschaft in Berlin
Was passiert, wenn wir eine Schulform einführen, die Kindern verpflichtet auf die gleiche Schule zu gehen?Wir haben das System nicht gelöst, da Gemeinschaftsschulen noch mehr verursachen, dass Schüler in ihrem Kiez bleiben. Es wird sogar eine weniger starke Durchmischung geben. Was machen wir dann mit den Privatschulen? (Arnd Niedermöller, Schulleiter Immanuel-Kant-Gymnasium)
Louis Krüger (Bündnis90/Die Grünen):
- Privatschulen sind ja grundgesetzlich erlaubt, aber dürfen nicht gesondert werden. Wie setzt man das im Staat durch?
- Sonderungsgesetz: Privatschulen dürfen keine Eliteschulen werden
- weil dort entsprechend segregiert wird: die schlechten Schüler müssen auf die staatlichen Schulen gehen und die guten Schüler können auf die anderen gehen.
Johannes Dallheimer (FDP):
- Staatliche Hochschulen sind genauso gut wie Eliteschulen.
- Privatschulen sind auch Förderungsraum für Schüler mit Schwierigkeiten
Katharina Günther-Wünsch (CDU):
- Es wird absolut keine Abschaffung von irgendeiner Schulart geben.
- Wir brauchen grundsätzlich überall eine gute Studiumsorientierung und Berufsbildung.
- Wir müssen nicht immer die ISSen mit Oberstufen attraktiv machen, das sind sie auch so schon.
- Es müssen nicht 50% der Schüler in Berlin Abitur machen. Wir brauchen eine ausgewogene Mischung.
Wenn es eine Frage gäbe von den Politikern, die sie vom Plenum beantwortet bekommen möchten, welche wäre das?
Andy Hehmke (SPD):
„Soziale HETEROGENITÄT?
Was müssen wir tun, um die Schulabbrecherquote herunterzubrechen?“
Katharina Günther-Wünsch (CDU):
„Wie kriegen wir die Eltern in die Schulgemeinschaft rein?“
Louis Krüger (Bündnis90/Die Grünen):
„Was ist die größte Hürde für Schulermittlung?“
Johannes Dallheimer (FDP):
„Wie können wir so schnell wie möglich die Coronageneration wieder aufrollen?“